
Foto Julia Sellmann
Kritiken:
Die Brüder sind extrem verschieden. Victor Ijdens spielt mit leidenschaftlicher Hemmungslosigkeit Dimitrij, einen Mann zwischen zwei Frauen, der seine Triebe kaum unter Kontrolle bekommt. Steven Scharf ist Iwan, der zynische Intellektuelle, dem oft nur Laute aus dem Mund strömen. Vielleicht weil ihm die Formulierung ganzer Sätze manchmal einfach zu blöd ist. Oliver Möller überragt als vierter, unehelicher Bruder Smerdjakow, der als Diener in der Küche der Karamasows arbeitet. Ein unheimlicher Beobachter, ein ungerecht Behandelter, der sich manchmal in Krämpfen am Boden windet. Was aber auch nur Schauspielerei sein könnte. Theater der Zeit_Stefan Keim
https://tdz.de/artikel/acaae2c6-5fd0-4a65-9e22-b8f0c576d3a7
https://m.faz.net/aktuell/feuilleton/buehne-und-konzert/die-brueder-karamasow-am-theater-bochum-19245272.html
http://theaterpur.net/theater/schauspiel/2023/10/bo-johan-simons-karamasow.html
Inhalt:
Die Brüder Karamasowist ein maßloser Text, in dem man sich verlieren kann wie nachts in einem Wald. ALLES ist darin: die Sehnsucht nach Liebe und die Qual des Begehrens, die moralische Schuld und die ökonomischen Schulden, Gewalt und Gebete und verstohlene Küsse, der Griff nach den Sternen und der Sturz ins Leere. Eine Vielzahl unbehauster Figuren jagt umher wie in einem Fiebertraum, unaufhörlich in Bewegung, sowohl äußerlich wie innerlich, aus dem Takt geraten, ihr Gleichgewicht verschwunden, wenn sie es denn je besaßen. Alles ist verschoben, außer Kontrolle: Erwachsene tanzen auf Messers Schneide und bleiche Kinder wollen die Welt anzünden. Wenn nichts mehr zu verlieren ist, ist dann alles erlaubt?
Die Handlung ließe sich auf eine reißerische Sex and Crime-Story herunterbrechen: Im Zentrum stehen die Karamasows, eine kaputte Familie, gegründet auf toten Müttern, die allesamt unter dem moralisch verkommenen Vater Fjodor Karamasow gelitten haben und vier Söhne hinterließen. Der Roman umfasst nur wenige Tage, an denen der Vater und seine Söhne nach Jahren wieder alle aufeinanderstoßen. Als Fjodor ermordet aufgefunden wird, hat jeder der Söhne ein Tatmotiv. Doch nur einer war es, und ein an- derer wird für den Mörder gehalten. Natürlich spielt Geld eine Rolle. Und natürlich ist der wichtigste Motor des Geschehens (mindestens) eine Frau.
Aber in die Seele von uns greifen die Figuren Dostojewskijs nicht aufgrund der komplexen Kriminalgeschichte oder eines der berühmtesten Justizirrtümer der Literaturgeschichte. Sondern weil sie in aller Widersprüchlichkeit, aber immer aus voller Kehle, fragen, wo die Freiheit zu fin- den ist, und doch nichts mit ihr anzufangen wissen. Weil sie den Himmel leerfegen und Gott doch flehentlich suchen. Weil sie das Leben lieben und es im nächsten Moment zum Teufel wünschen. So wie wir.
Wir kapern mit Dostojewskijs Figuren das Theater: Bühne, Backstage und Zuschauerraum. Eine mehrstündige Inszenierung, auf der großen Bühne des Schauspielhauses und in den Kammerspielen, in Gängen und Foyers – eine Reise, ein Spektakel, eine Feier, ein Spuk.